Chorgesang ohne kulturelle Grenzen

Im Sängerbund Ruit singen Männer und Frauen aus vielen Nationen zusammen. Das schlägt sich auch im Repertoire nieder.

30.11.2023

Elisabeth Maier

OSTFILDERN Das „th“ ist in der englischen Sprache nicht leicht auszusprechen. Damit es beim Singen gut klingt, übt die gebürtige Engländerin Hilary Schmitt-Thomas mit den Männern und Frauen vom gemischten Chor des Sängerbunds Ruit die Aussprache. Eine halbe Stunde lang wird vor den Proben Lautsprache trainiert. Dann klingt das perfekt. „Solche internationalen Impulse bereichern unseren Chor“, findet Martina Gerbig, die Vorsitzende des Sängerbunds Ruit. Auch Geflüchtete sind willkommen. Am Sonntag, 10. Dezember, laden die Sängerinnen und Sänger zum Adventskonzert ein. Dass Musik auch dann verbindet, wenn es Sprachbarrieren gibt, steht für die engagierte Vereinschefin außer Frage. Deshalb liegt Gerbig die Integration geflüchteter Menschen sehr am Herzen. Im Frühjahr war sie beim Freundeskreis Asyl zu Gast, um Männern und Frauen aus der Ukraine oder aus Syrien die Angst zu nehmen, im Chor mitzusingen. „Wir sind für alle offen.“ Aber vielen falle es schwer, die Unsicherheit zu überwinden. Keine Berührungsängste hat Oleksandr Babienko, der aus Charkiv in der Ukraine vor dem Krieg flüchten musste. „Ich habe mein ganzes Leben lang gesungen“, sagt der Chorist. Er ist glücklich, dass er im Chor so viele Kontakte knüpfen konnte. Der Ukrainer hat Paten beim Sängerbund, die ihm das Leben in Ostfildern erleichtern. Beim Eingewöhnen in den Chor steht ihm Eugen Pankraz zur Seite. Der 76-jährige Russlanddeutsche baut Brücken zwischen den Kulturen, die sich im Alltag unterscheiden. Für Babienko, der erst seit knapp zwei Jahren in Deutschland ist, „eine große Hilfe“. Das Miteinander der Nationen finden auch die langjährigen Sängerinnen und Sänger aus Ruit schön. Der 86-jährige Günter Bubeck ist seit 64 Jahren aktiver Sänger. Dass sich der Verein auch den Menschen aus anderen Ländern öffnet, gefällt ihm gut. Als Gewinn empfindet er, dass die gebürtige Engländerin Hilary Schmitt-Thomas mit ihm und den anderen die englische Aussprache übt. Bubeck gefällt, dass die Dirigentin Claudia Großekathöfer mit den Sängerinnnen und Sängern auch englische Lieder einstudiert. Zur Weihnachtszeit steht auch das englische Volkslied „Greensleeves“ (auf deutsch: grüne Ärmel) mit seiner wundervollen Melodie auf dem Plan. Wie gut das Miteinander der Generationen klappt, gefällt Ines Schleehauf. Ihr Vater Walter ist zweiter Vorsitzender des Sängerbunds. Zum Singen hat sie ihr Opa Horst Wieder gebracht. Dass drei Generationen gleichzeitig in einem Chor singen, sei in Ruit bislang einmalig, sagt die junge Frau. Dass die Geselligkeit beim Sängerbund einen so hohen Stellenwert hat, macht Roman Dengler möglich. Der gebürtige Mexikaner lebt seit langem in Deutschland. Nicht nur das gemeinsame Singen, auch die Bewirtung findet er wichtig. Deshalb kümmert er sich um den Thekendienst: „Nach der Probe bei einem Glas Wein, Bier oder Wasser zu entspannen und ins Gespräch zu kommen, das ist wichtig.“ Ihm ist es eine Freude, für das passende Umfeld zu sorgen. Von den Reisen der Ruiter Sängerinnen und Sänger schwärmt Bärbel Fuhrmann. In der ukrainischen Partnerstadt Poltawa, in Montluel oder in Japan hat der Sängerbund gesungen und dabei internationale Netzwerke geknüpft.

Spendenübergabe an den Freundeskreis Asyl

Artikel aus der Stadtrundschau 6/2023

Lachen verbindet beim Deutsch-Stammtisch

Stuttgarter Zeitung Kreisausgabe Esslingen 14.01.2023
Seite 18

Von Elisabeth Maier
Im Treffpunkt Ruit kommen Menschen aus Syrien und der Ukraine mit Deutschen ins Gespräch. Der Freundeskreis Asyl baut in Ostfildern Brücken.
Ostfildern. Das Lernen der deutschen Sprache ist für die ukrainische Managerin Elena Ignatuschenko herausfordernd. Bei der Volkshochschule bekomme sie zwar „alle Hilfe, die ich brauche“. Dennoch
findet sie es gut, beim Deutsch-Stammtisch des Freundeskreises Asyl im Treffpunkt Ruit ungezwungen zu sprechen. Mit Martina Gerbig, der Vorsitzenden des Sängerbunds Ruit, tauscht sie Reiseerfahrungen aus. „Sie müssen langsam sprechen.“ Dann klappt die Kommunikation zwischen den Gästen aus der Ukraine, Syrien und Deutschland.
Dass sich der regelmäßige Stammtisch seit dem Sommer gut etabliert hat, freut den Initiator Martin Seeger. „Ein ähnliches Projekt habe ich vor Jahren in Esslingen für internationale Studierende ins Leben gerufen“, erinnert sich der ehemalige Mitarbeiter der Hochschule. Der Deutsch-Stammtisch fand damals in der urigen Kneipe Karmeliter statt. Die ungezwungene Konversation bei einem Glas Wein oder Sprudel habe den jungen Menschen aus aller Welt viel gebracht. Nun kam Seeger auf die Idee, ein ähnliches Angebot auch für Geflüchtete zu machen. Dass sich die Gäste aus arabischen Ländern mit den Ukrainerinnen und Ukrainern bestens verstehen, freut ihn. Auch der Ostfilderner Rolf-Günter Grasser ist dabei und knüpft Kontakte zu den Männern und Frauen, die aus anderen Kulturen kommen.
Wie gut dieser Austausch klappt, ist in der entspannten Runde im Treffpunkt Ruit in der Scharnhauser Straße zu erleben. Weil sie nur wenig Deutsch spricht, sitzt Valentina Ignatuschenko etwas verloren am Tisch. Ihre Tochter Elena plaudert locker mit den anderen. Da kommt der Syrer Marwan Owes an den Tisch der Seniorin. Der Agraringenieur hat in der Ukraine studiert, kommuniziert in ihrer Sprache. Schnell ist das Eis gebrochen.
„Ich übersetze gern, wenn ich helfen kann“, sagt Owes, der sich hauptberuflich beim Esslinger Grünflächenamt um Gartenarbeit und vieles mehr kümmert. Er könne nachfühlen, was die Menschen aus der Ukraine im Krieg erleben mussten. Dass er wegen der Sprachbarrieren nicht in seinem Beruf arbeiten kann, das macht ihn traurig.
Umso glücklicher ist der Vater von vier Kindern, dass sein Sohn jetzt in Hannover Zahnmedizin studiert: „Die anderen drei gehen aufs Gymnasium.“ Dem Syrer ist es wichtig, den Menschen in Ostfildern die Kultur seines Landes nahezubringen: „Im Café Syria kochen wir gemeinsam syrische Spezialitäten und bewirten unsere deutschen Gäste. Das kommt sehr gut an.“

Mit dem Stammtisch macht der Freundeskreis Asyl, der 2022 zu den Preisträgern des Ehrenamtspreises der „Eßlinger Zeitung“ gehörte, ein niederschwelliges Angebot für alle Geflüchteten. „Es ist schön, dass der Austausch klappt“, schwärmt Ursula Zitzler, die Vorsitzende des Vereins: „Es ist ganz unterschiedlich, wer zu den Abenden kommt.“ Auch Afrikaner sind oft dabei. Barrieren zwischen den Menschen unterschiedlicher Nationalitäten sieht auch Zitzler nicht. „Alle sind offen und freuen sich, den Horizont zu erweitern.“ Martina Gerbig, die Vorsitzende des Sängerbunds Ruit, übergab einen Spendenscheck über 800 Euro: „Singen verbindet Kulturen.“ Deshalb machte sie den Männern und Frauen aus Syrien und der Ukraine Mut, zu den Chorproben zu kommen.
Der Deutsch-Stammtisch des Freundeskreises Asyl Ostfildern findet regelmäßig statt. 25. Januar sowie 8. und 22. Februar jeweils von 17.30 bis 19 Uhr im Treffpunkt Ruit in der Scharnhauser Straße 25. Weitere Termine im Internet: fkasyl-ostfildern.de
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