Von der Gründung bis zur Jahrhundertwende

(1883 - 1901)

Die ersten Vereinsgründungen zur organisierten Pflege des Volksgesanges gehen in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurück.

Als eigentlicher Schöpfer des Volks- und Chorgesanges sind der Berliner Komponist Carl Friedrich Zelter und der Schweizer Musikpädagoge Hans Georg Nägeli zu nennen. Zelter gründete im Januar 1809 die Berliner Liedertafel, Nägeli im Juni 1810 in Zürich einen Männergesangverein.

Aber auch Immanuel Faißt Stuttgarter Liederkranz 1824 und Karl Pfaff Liederkranz Esslingen 1827 haben für die sich in den folgenden Jahren landauf landab bildenden Gesangvereine entscheidende Impulse gegeben. Waren in größeren Städten meist Musikfachleute die Initiatoren, so gab in ländlichen Gebieten in der Regel der Dorfschulmeister den Anstoß zur Vereinsgründung, bei der er häufig auch die Ämter des Dirigenten und Vereinsvorsitzenden in seiner Person vereinigte. Selbstredend war dem damaligen Zeitgeist entsprechend der vereinsmäßig betriebene Chorgesang zunächst reine Männersache. Von privaten Haussingkreisen abgesehen, fanden Frauen erst sehr viel später über Kirchenchöre Eingang in gemischte Chöre oder Frauenchöre.

Die Sangesbewegung dieser Zeit machte auch vor den Toren der damals rund 900 Einwohner zählenden Gemeinde Ruit nicht halt, und auch hier war es der örtliche Lehrer, der die Idee in die Tat umsetzte. Der 39-jährige Jakob Herrigel scharte 28 sangesfreudige Männer um sich und gründete 1863 zunächst unter dem Namen »Liederkranz« in Ruit den ersten Gesangverein. Neben dem Wunsch zur »Pflege der Sangeskultur« in geselliger Runde lag dem Gründer zweifellos auch das Wohl der ihm als Pädagoge anvertrauten Jugend am Herzen. So lesen wir denn in der zwei Jahre später von 34 Mitgliedern beschlossenen Satzung:

§ 1

Der Zweck des Vereins ist:

a: Hebung des Kirchengesangs

b: Verdrängung schlechter Gassenlieder

c: Sittliche Hebung der Jugend

Auf Wahrung von Zucht und Ordnung legten die Vereinsmitglieder offenbar ebenso großen Wert wie auf gebührenden Respekt den kirchlichen Belangen gegenüber. In § 2 dieser Satzung wird letzeres noch einmal besonders herausgestellt: »Auch den geistlichen Liedern gegenüber muss ... die entsprechende Berechtigung gewahrt werden.«

Wer aufgenommen werden wollte, mußte mindestens 18 Jahre alt sein und als »sittlich geordneter Mensch« über einen einwandfreien Leumund verfügen. »Unanständiges Aufführen bei öffentlichen Produktionen« oder »sittliche Verfehlungen« führten gemäß § 11 zum Vereinsausschluß.

Neben den inneren Werten mussten Neulinge auch finanzielle in Form von einem Gulden Eintrittsgeld erbringen. Es wurde später auf 24 Kreuzer reduziert. Ein Gulden entsprach der heutigen Kaufkraft von etwa 35 DM. Ein Knecht verdiente damals bei freier Kost und Logis monatlich 10 bis 20 Gulden.

Der Gründer selbst fungierte in der Zeit von 1863 bis 1870 als Vorsitzender, die erste musikalische Leitung des Vereines übernahm ebenfalls ein Schullehrer, der gebürtige Ruiter Jakob Fritz, der in Denkendorf unterrichtete. 

Nachdem kein Gründungsprotokoll erstellt wurde, aus dem die Gründungsmitglieder hervorgingen, müssen folgende 34 Mitglieder, davon 28 Sänger die 1865 die Gründungssatzung unterzeichneten, als Männer der ersten Stunde angesehen werden:

Jakob Fritz                 Karl Leitenberger                    Friedrich Klay

Georg Schöller           Friedrich Fritz                          David Waiss

Albert Schöller           Jakob Fritz                              Jakob Bauer

Johannes Ettischer    Philipp Fritz                            Christian Rich

Gottfried Strobel       Joh. Georg Hörz                      Jakob Waiss

David Waiss              Jakob Schweizer                    Jakob Heimsch

David Fritz                 Jakob Illi                                Jakob Rich

Friedrich Rich             Jakob Waiss                          Daniel Weißinger

Jakob Distel               Georg Fritz                            David Frey

David Kiesel               David Stäudle                        David Fritz

Georg Bothner           Christian Fritz

Jakob Mauz                Karl Illi

In den folgenden Jahren hatte der junge Verein mehrere Wechsel in den wichtigsten Ämtern wie auch schwierige Turbulenzen im Vereinsleben zu verkraften. 1867 übernahm Johann Ettischer die Kassengeschäfte und 1886 Gesangsdirektor Häußler das Amt des Dirigenten, um es bereits drei Monate später dem Lehrer Frick für knapp ein Jahr zu übergeben.

Im Mai des gleichen Jahres kam es dann zu der bis dahin wohl schwersten Belastungsprobe. Nachdem die (nur noch) 1 Gulden und 12 Kreuzer aufweisende Kasse aufgelöst und unter die Mitglieder aufgeteilt worden war, entschloss sich der Verein dann noch im November 1869 zu einem Neubeginn unter dem Namen »Sängerbund Ruith«.

Zunächst übernahm der Vorsitzende Herrigel auch die musikalische Leitung. Ein Ruck ging durch die Mitgliederschaft, und die neue Aufwärtsentwicklung des wiedererstarkten Vereins fand bereits ein Jahr später auf den Brühlwasen, dem heutigen Gelände der Justinus-Kerner-Schule, in einem großen Fest der Fahnenweihe sichtbaren Ausdruck.

Spendenfreudige Mitglieder brachten die beachtliche Summe von 134 Gulden und 30 Kreuzer auf, um mit der neuen Fahne ein sichtbares Symbol der Zusammengehörigkeit anzuschaffen. Die Fahne ist bis heute erhalten, durchaus keine Selbstverständlichkeit, mussten sich doch viele Vereine in der NS-Zeit gezwungenermaßen von ihrem Traditionssymbol trennen.

Wie bedeutsam das Fest der Fahnenweihe gewesen sein mußte, läßt sich auch an dem finanziellen Aufwand ablesen, der nach Aufzeichnungen in den alten Kassenbüchern folgendes Volumen hatte:

Die Fahne laut Quittung                                                   134 Gulden 30 Kreuzer

Einrückungsgebühr im Stuttgarter Tagblatt                                        33 Kreuzer

Papier zu Eintrittskarten                                                                       6 Kreuzer

Beim Abholen der Fahne in Stuttgart

dem Lehrer Herrigel                                                                            30 Kreuzer

dem Kassier Wahl                                                                               30 Kreuzer

dem Fahnenträger Jakob Illi                                                               30 Kreuzer

Für Kleider der Festjungfrauen                                          12 Gulden

Für Festbänder und Inserate                                             20 Gulden 15 Kreuzer

Für Papier und Freimarken an Kaufmann Rückle                  2 Gulden 32 Kreuzer

Für blaue Stempelfarbe zu Karten mit Porto                                       32 Kreuzer

Herrn Hirschwirt Huonker für Zech und Musikanten         109 Gulden 56 Kreuzer

Dem Lehrer Herrigel für Tafel zeichnen                                               30 Kreuzer

Für Maien zum Festplatz                                                      3 Gulden 36 Kreuzer

Amtsdiener Baal für Ausrufen                                                                6 Kreuzer

Dito. Kassierer Wahl, Schäfer                                                              30 Kreuzer

Dem Kassierer Pfeiffer und Fritz                                           1 Gulden

Für Festbänder der Festjungfern                                        12 Gulden

Zech in der Krone                                                                  4 Gulden  8 Kreuzer

Für Kassierer Wahl                                                                4 Gulden 12 Kreuzer

Gesamt                                                                              312 Gulden 56 Kreuzer

Es blieb ein Kassenvorrat von 11 Gulden 35 Kreuzer

Die neue Aufwärtsbewegung des Vereins wurde durch den Krieg 1870/71 jäh unterbrochen, und der Singbetrieb mußte vorübergehend eingestellt werden. Dem glücklichen Umstand der wohlbehaltenen Rückkehr aller Sänger war die baldige Wiederaufnahme der Probenarbeit im April 1871 zu verdanken. Der Chor bestand zu dieser Zeit aus 15 Sängern und bereits ein Jahr später waren es schon 23.

In diese Zeit fiel auch ein Wechsel an der Vereinsspitze. Jakob Friedrich Herrigel der inzwischen nach Esslingen verzogen war, übergab das Amt des Vorsitzenden an Jakob Wahl, Schäfer ab, behielt aber zunächst noch die musikalische Leitung des Chores.

Keine Auskunft geben die Vereinsunterlagen über die Gründe, weshalb im November 1871 die Singstunden eingestellt wurden. In den Aufzeichnungen aus dieser Zeit lesen wir, vom Vorsitzenden Jakob Wahl und den Mitgliedern Jakob Illi und David Fritz bestätigt:

„Die Unterzeichneten bezeugen hiermit, dass sämtliche in der Schule noch vorhandenen Gegenstände, die dem Sängerbund eigen sind, durch Lehrer Herriegel abgeliefert sind“.

Damit hat der Gründer –vermutlich wegen seiner beruflichen Tätigkeit in Esslingen- seine Vereinsmitgliedschaft im Sängerbund aufgegeben, denn sein Name taucht von diesem Zeitpunkt on in den Vereinsannalen nicht mehr auf. Erst neun Monate später, am 20. 08.1872, wird unter der Leitung von Lehrer Hipp wieder mit den Proben begonnen.

Aus dem Jahre 1875 sind zwei Ereignisse besonders erwähnenswert. In jenem Jahr lässt der Verein das erste Foto von den Mitgliedern des Chores anfertigen, auf dem jedoch aus unerfindlichen Gründen nicht alle Sänger abgelichtet sind, denn die Zahl der Chormitglieder betrug zu dieser Zeit 25 Sänger. Aus heutiger Sicht mag dies ein alltäglicher Vorgang gewesen sein, nicht aber damals, als die Fotografie noch in den Kinderschuhen steckte.

Außerdem fand in diesem Jahr die Umstellung der Währung von Gulden auf Mark statt.

Für einen Gulden wurden 1 Mark und 70 Pfennige, für einen Batzen 12 Pfennige und für einen Kreuzer 3 Pfennige berechnet.

Der anlässlich der Währungsumstellung vorgenommene Kassensturz ergab ein Guthaben von 45 Mark und 78 Pfennigen.

Die Geschicke des Vereins bis kurz nach der Jahrhundertwende lagen in den Händen von Jakob Fritz, Zimmermann, und Jakob Pfeiffer. Jakob Fritz war Vorsitzender von 1873 bis 1882, Jakob Pfeiffer von 1888 bis 1902. Der Vorsitz in den 6 Jahren dazwischen ist nicht mehr nachweisbar.

Ein erheblich häufigerer Wechsel ergab sich im Amt des Dirigenten. Erwähnt werden die Lehrer Hipp und Schmidhofer, die Herren Heiler und G. Bitz, sowie die Lehrer Fischer, Weber, Leimenstoll, Roth, Wanner, Grau, Bayer und Vogger.

Ein großes Ereignis stellte 1895 das Fest des 25-jährigen Fahnenjubiläums dar, das bei strahlendem Frühlingswetter am 5. Mai wiederum auf den Brühlwiesen ausgiebig gefeiert wurde. Kein Wunder, dass Kassierer Jakob Wahl ein Defizit von 20 Mark und 18 Pfennigen in den Kassenbüchern verbuchen mußte.

Im gleichen Jahr trat der Verein dem Filder-Sängergau bei. Er beteiligte sich in der Folgezeit rege an verschiedenen Festen befreundeter Chöre und Vereine der Umgebung. Daraus mag der Stellenwert der damaligen Chorarbeit und die Begeisterungsfähigkeit der Sänger ersichtlich werden.